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Und was ess‘ ich jetzt dazu?

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Fruchtige Rieslinge unterschiedlichen Alters beim International Riesling Symposium

Gastbeitrag zur Weinrallye #95 – Wein & Speise

Von Petra Pahlings

Fast schon eine Standardfrage – eine Frage die mir bei jeder Präsentation immer wieder gestellt wird – quer durch alle Besuchergrupppen – der „einfache“ (sorry für das Attribut, aber ihr wisst wie das gemeint ist) Konsument, der Weinfreak, der Koch, der Fachhändler, der Restaurantfachmann, der „fortgeschrittene“ Konsument (auch hier wieder SORRY – siehe oben), sie alle stellen mir immer wieder diese Frage.

Aber von vorne: Ich arbeite für ein Weingut, das traditionell restsüße Moselweine vinifziert. Weine, die durch ihre Balance zwischen Süße und Säure (ja – und viele andere Elemente) bestechen. Ein Nischenprodukt, fernab vom Mainstream. Diese Weine haben Erklärungsbedarf, den wir, wie sollte es anders sein, meist auf Präsentationen und Verkostungen liefern. Und es ist erstaunlich für uns, die jeden Tag mit diesen Weinen umgehen, wie fremdartig sie manch einem anmuten. Oft ist eine der ersten Reaktionen: „Oh ein toller Dessertwein!“ Wenn es etwas gewagter sein darf, wird auch mal eine Käsebegleitung vorgeschlagen. Aber auch immer wieder die Frage: „Und was ess’ ich jetzt dazu?“ gestellt.

Sommeliers berichten mir, dass sie, wenn sie Gästen einen restsüßen Wein empfehlen, meist auf Ablehnung stoßen. Servieren Sie den Wein jedoch unkommentiert – höchstens begleitet mit dem Satz: „Das würde ich jetzt dazu trinken!“ – sind die Gäste meist positiv überrascht und bleiben bei der Empfehlung.

Woher kommt das? Wieso haben wir vergessen, wie man diese Weine bei einem Essen einsetzt? Und wieso ist die Angst so groß es zu versuchen?

Süße wird logischerweise mit ZUCKER verknüpft. Und wir haben SOFORT eine negative Assoziation. Kalorien – Bäh! Wir suchen Ersatzstoffe für Zucker, die uns (angeblich) nicht dick machen. Wir verkneifen uns das Stück Schokolade und erinnern uns gleichzeitig mit Wehmut daran, wie wir als Kinder die Kuchenteigschüssel oder den Puddingtopf ausgekratzt haben. Doch wir vergessen ein dabei: Ein Großteil unseres Essens besteht aus Süße – und ich rede nicht von dem tatsächlich diskussionswürdigen Industriezucker.

Ich rede von der natürlichen Restsüße wie sie in Prädikatsweinen zu finden ist und in vielen unserer Lebensmittel. Jedes Schmorgericht wird angesetzt mit Sellerie, Möhren und Zwiebeln, die beim Anbraten karamellisieren. Oder DIE Stärkebomben schlechthin: Kartoffeln und Nudeln. Wir spielen fast täglich mit ihrer Süße auf unserem Teller. Pastinaken – welch wunderbarer nussig, süßer Geschmack. Tomaten – sie sind erst dann perfekt, wenn sie reif, saftig und herrlich süß daher kommen. Fleisch, gut abgehangen, Wild, Wildgeflügel, alles Produkte, die von Natur aus schon eine eigene Süße mitbringen. Man könnte die Liste unendlich weiterführen.

Wird mir die Frage nach der Essensbegleitung gestellt, gehe ich gern in die Offensive! Mein Lieblingsvorschlag, mit dem ich manch einem schon ein Fragezeichen ins Gesicht gezaubert habe ist: Steak! Am besten eines dieser derzeit mega-angesagten super-hippen Dry-Aged Steaks, sprich gut abgehangen, vorzugsweise Rib-Eye. Wenn das Budget es zulässt, darf es auch gerne ein Stück Kobe-Beef oder Wagyue sein. Fett (oh Gott, das nächste Unwort) ist wichtig in dieser Kombination! Richtig heiß angebraten (das Fleisch sollte jedoch maximal medium-raw sein) anschließend im Ofen oder gut abgedeckt etwas ausgeruht, nur mit etwas Fleur de Sel und Pfeffer gewürzt läuft es zur Höchstform mit einer gereiften Spätlese auf. Wer sich traut nimmt sogar eine Auslese! Zweifel?…… Ausprobieren!

tomahawk-Steaks von der alten Kuh

Vielleicht bei der nächsten Grillparty? Aber Vorsicht: Bitte auf jeden Fall genug Wein einkaufen, denn restsüße Weine haben noch einen weiteren ganz entscheidenden Vorteil: niedrige Alkoholwerte und (oder daher) Trinkfluss! Ein Faktor, den man besonders in der asiatischen Küche und erstaunlicherweise auch immer mehr in der französischen und italienischen Küche zu schätzen weiß. Trinkfluss definiert sich dabei nicht nur durch die Menge der Flaschen, die bei einem Abendessen „geköpft“ werden, auch wenn der gemeine Gastronom daran besonders interessiert ist. Trinkfluss bedeutet auch: wie mache ich weiter in der Menüfolge, was kommt danach? Restsüße Weine haben die Eigenschaft den Gaumen und die Zunge zu beruhigen und gleichzeitig zu erfrischen. „Careveille“ – „Das weckt auf“ sagte vor kurzen ein französischer Sommelier bei einer Probe zu mir, als er eine restsüße Spätlese verkostete. Und es stimmt, der Wein weckt auf, bereitet vor auf den nächsten Gang, macht Lust auf mehr! Sowohl auf mehr Essen als auch auf mehr Wein. Eine Riesling-Auslese zu Gänsestopfleber statt eines Sauternes? Weiter geht’s! Eine Spätlese zu einem scharfen Thai-Curry? Der nächste Gang kann folgen!

Und wer es nicht glaubt, der schaut mal auf Facebook nach, wie oft man Fotos von Proben findet, die mit einer Flasche restüßen Prädikatsweins beendet wurden. – Ich sag nur: #reparaturwein

Ich weiß, dass dies (mal wieder) meine sehr eigene Sicht auf die Dinge ist, aber das hier ist ein Blog-Beitrag, da geht es um persönliche Sichtweisen. Ich trinke auch wahnsinnig gerne andere Weine. Ich probiere herum und versuch mich an manchmal aberwitzig anmutenden Speisen-und Wein-Kombinationen, die ich auch meinen Gästen zumute. Doch am Ende dieser Abende stelle ich fest, dass immer die restsüßen Weine zuerst ausgetrunken waren…..

Leckereien im Schlosshotel Lerbach


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